Komponisten

Wirkungsstätte Ospedali

An den Ospedali Venedigs hat im Gegensatz etwa zu den Konservatorien Neapels keine schulemachende, und damit historisch nachweisbare Komponistenausbildung stattgefunden. Doch aufgrund ihres exzellenten Musikbetriebs mit hervorragenden Solistinnen, einem stabilen Ensemble und intakter Organisationsstruktur bewarben sich die renommiertesten Komponisten ihrer Zeit, und zwar nicht nur Italiens, auf die Position des maestro di coro. Ihre Aufgabe bestand in der Pflege des Musikbetriebs, über die Ausbildung bis hin zur Leitung der Aufführung sowie im regelmäßigen Komponieren geistlicher Werke für den Gottesdienst. Dies bedeutete, dass die Komponisten eine bestimmte Zahl an Motetten, Psalmen, Messen, Antiphonen, aber auch Oratorienwerke zu liefern hatten.

Der Anstellungsvertrag an den Ospedali sah es vor, dass die Komponisten auch weiterhin Zeit fanden, anderweitig tätig zu werden: Während es den Musikerinnen strengstens untersagt war, konnten die Komponisten ungehindert für die Opernbühne aktiv sein – ein wesentlicher Faktor, der garantierte, dass auch das Repertoire an den Ospedali die aktuellen Strömungen der Zeit mitgestalten und weitertragen konnte. Zudem hatten die Komponisten dadurch die Möglichkeit, sowohl im weltlichen wie im geistlichen Arbeitsbereich ihre Karriere voranzutreiben. Manche der Komponisten blieben zwar über Jahrzehnte für die Ospedali tätig oder mit ihnen verbunden, doch viele besetzten danach auch weitere lukrative Posten innerhalb ganz Europas.

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Renommierte Komponisten an den Ospedali

Die venezianischen Ospedali können regelrecht als 'Umschlagplatz' der Komponistenprominenz betrachtet werden: Mehrere Dutzend bekannter Musiker wirkten hier, angefangen von Giovanni Benedetto Vinaccesi, Francesco Gasparini über Nicola Porpora, Johann Adolph Hasse, Andrea Bernasconi, Niccolò Jommelli, Baldassare Galuppi bis hin zu Pasquale Anfossi, Tommaso Traetta, Johann Simon Mayr und Domenico Cimarosa.

Wie offen das System der Ospedali bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert funktionierte, zeigt eindrücklich das Wirken eines heute wieder besser bekannten Komponisten, nämlich Johannes Rosenmüller (1617-1684):

Als Protestant aus Sachsen nach Venedig angereist, arbeitete er knapp 25 Jahre für das Ospedale della Pietà: Er gehörte nicht zum Klerus, war einer der ersten 'Ausländer' unter den Maestri an den Ospedali und darüber hinaus der erste, der allein für das Komponieren und damit für die Vermehrung des geistlichen Repertoires zuständig war. Zugleich ist er ein nicht zu unterschätzender Vermittler zwischen der italienischen und deutschen Musikkultur in einer Zeit des stilistischen Umbruchs, mit besonderer Bedeutung für seine Experimente auf dem Gebiet der in Venedig entstandenen Psalmvertonungen. In bisheriger Forschung geht man von weit über 120 allein in Deutschland überlieferten Psalmkonzerten aus, die als Kopien des 17. und frühen 18. Jahrhunderts größtenteils in der Sammlung Bokemeyer enthalten sind, wertgeschätzt unter anderem von Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel.

Prominentester Vertreter der Ospedali-Komponisten ist heutzutage sicherlich Antonio Vivaldi (1678-1741), der als Instrumentallehrer und Komponist für das Ensemble der Pietà arbeitete. Neben seinem grundlegenden Beitrag zur Gattung des Solokonzerts sind von ihm 17 Psalmvertonungen überliefert. Ihre ganz unterschiedliche Länge, Stilistik und Besetzung deuten darauf hin, dass sie vermutlich für verschiedene Aufführungsorte entstanden oder aber revidiert worden sind, wie etwa im Falle seines Beatus vir in C-Dur RV 597 für zwei Chöre mit der dazugehörigen Version RV 795. Es ist nur für einzelne Kompositionen insbesondere aus den Jahren vor 1730 exakt bestimmbar, dass sie in dieser Gestalt für das Pietà-Ensemble geschrieben wurden. Dazu zählt unter anderem die Psalmvertonung Laudate pueri in c-Moll (RV 600) für einen Solosopran und Streicher. Komponiert um 1713 zählt es zu den frühesten uns erhaltenen Kirchenwerken Vivaldis für die Pietà und zeugt von einem lebendigen Ideenreichtum mit einer deutlich spürbaren Experimentierfreude.

Abbildung: Vermutlich Antonio Vivaldi bzw. Portrait eines venezianischen Komponisten mit Violine, um 1710/20. Aus der Schule Giuseppe Maria Crespis (Biblioteca del Civico Museo Bibliografico Musicale G. B. Martini, Bologna)

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Die Ospedali und San Marco

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts prägt ein weiterer heute uns bekannter Komponist das venezianische Musikleben: Baldassare Galuppi. Über mehrere Jahrzehnte beeinflusste er mit seinen Werken nicht nur die Opernbühne, sondern auch drei herausragende Zentren der Serenissima: Von 1740 bis 1751 war er maestro di coro an den Mendicanti. Als er 1762 als maestro di cappella an den Incurabili und parallel maestro di cappella an San Marco wurde, war Galuppi auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen.

Nicht nur seine Werke, sondern auch sein Organisationstalent hinterließen deutliche Spuren in der Musikszene. So sorgte er an San Marco für die bis dato fehlende Gesangsvirtuosität, indem er namhafte Opernsänger wie etwa Antonio Tosi oder Ferdinando Pacini unter Vertrag nahm. Auch an den Mendicanti war er konsequent darauf bedacht, dass die Sängerinnen in der Kunst der modernen maniera unterrichtet werden sollten. So garantierte er das hohe Niveau gerade der solistischen Kirchenmusik.

Galuppis Wirken sorgte zudem für eine große Stabilität insbesondere am Ospedale dei Mendicanti, dessen Coro über eine Periode von knapp sechs Jahrzehnten von lediglich zwei Kapellmeistern geleitet wurde, nämlich von Galuppi und nach seinem Weggang ab 1752 von seinem Schüler und Freund Ferdinando Bertoni. Dieser schrieb wie sein Lehrer parallel Werke für die Opernbühne, brach ebenfalls zu einer Reise in die europäischen Musikzentren auf, wurde Organist an San Marco und beerbte dort dann nach Galuppis Tod 1785 dessen Posten als maestro di cappella.

Abbildung: Baldassare Galuppi nach einem Stich von G. Bernasconi (Venedig, Seminario patriarcale)

Höreindruck: Baldassare Galuppi, Dixit Dominus (1774), geschrieben für die Incurabili.

 

Die Stabilität und Kontinuität im Musikbetrieb der Mendicanti führten zur enormen Blüte dieses Ospedale um die 1770er und 1780er Jahre: Immerhin stammen beinahe alle uns heute bekannten großen Sängerinnen und Instrumentalistinnen, die ihre Karriere außerhalb der Ospedale-Mauern fortführen konnten, von hier, etwa Adrianna Ferrarese und Maddalena Lombardini-Sirmen. Außerdem sorgte das Wirken beider Komponisten für eine starke Verbindung zu der Dogenkirche San Marco – eine Relation, die allerdings Tradition hatte. Nachweislich finden sich nicht zuletzt die gleichen Psalmvertonungen im Repertoire beider Institutionen, wie etwa Bertonis Dixit Dominus, 1760 für das Ospedale dei Mendicanti geschrieben und in den 1780er Jahren revidiert für San Marco.

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Neapolitanische Komponisten

Mitte der 20er Jahre des 18. Jahrhunderts begann an den venezianischen Ospedali das Interesse für die moderne, aus Neapel stammende Musik. Komponisten der neapolitanischen Musiker begannen, das Musikleben Venedigs entscheidend zu verändern. Ihr Wirken an den Ospedali führte dazu, deren Profil maßgeblich etwa von der Musikpraxis der Cappella Ducale von San Marco abzuheben.

Die Incurabili waren die erste Institution, die einen neapolitanischen Musiker als Maestro anstellte. Dieser war kein geringerer als Nicola Porpora, der damals berühmteste Gesangslehrer des 18. Jahrhunderts, Lehrer Joseph Haydns und Konkurrent Georg Friedrich Händels in London.

Porpora wirkte 1726 für acht Jahre an diesem Ospedale und trug von hier aus zur allgemeinen Verbreitung und Bewunderung des zukunftsweisenden neapolitanischen Stils in einer Umgebung bei, die damals durch venezianische Musiker wie Antonio Lotti, Antonio Vivaldi oder Tomaso Albinoni geprägt war. Ihm ist der Ruhm des Coro an den Incurabili zu verdanken, der bald den der Pietà übertrag, so dass das Ospedale auch nach seinem Weggang weiterhin neapolitanische Musiker anstellte, nämlich Johann Adolph Hasse, Niccolò Jommelli, Gioacchino Cocchi, Vincenzo Ciampi oder Giuseppe Scarlatti.

Neben einer kurzen Anstellungszeit Porporas am Ospedale della Pietà im Jahr 1742/43 kam schließlich das kleinste der Ospedali, das 'Ospedaletto' in die Gunst des großen Gesangslehrers. Ständig von finanziellen Nöten in seiner Existenz bedroht, begann für das Ospedaletto unter Porporas Ägide ab 1743 die entscheidende Phase der Veränderung hin zu einer aufblühenden Musikaktivität, die ihren Höhepunkt unter der Leitung des Neapolitaners Pasquale Anfossis zwischen 1773 und 1782 fand. Porpora legte dafür den Grundstein: Als Pädagoge führte er den damals neuartigen Gruppenunterricht im Sinne der heutigen Meisterkurse ein, er initiierte die Möglichkeit, vielversprechende Musikerinnen von Außen aufzunehmen und schrieb den Musikerinnen quasi die Werke auf den Leib: hochvirtuos, mit einem großartigen Verzierungsreichtum und dennoch stets kantabel.

Abbildung: Nicola Antonio Porpora, Lithographie von Haster 1825

Auch das Ospedaletto blieb nach dem Weggang Porporas dem neapolitanischen Stil treu: Eine regelrechte Dynastie von Neapolitanern mit Komponisten wie Tommaso Traetto, Antonio Sacchini, Pasquale Anfossi und Domenico Cimarosa sorgte dafür, die Venezianer vom Musikleben des kleinsten der Ospedali zu überzeugen und zu begeistern.

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Einfluss- und Wirkungskreis

Als Zwischenstation für die damals renommiertesten Komponisten griffen die Ospedali die aktuellsten Strömungen ihrer Zeit auf und gestalteten sie stilprägend mit ihrem exzeptionellen Gesangs- und Instrumentalensemble mit. Die hier errungenen und geschulten Stilistika beeinflussten das kompositorische Schaffen nicht zuletzt jener Komponisten, die nach ihrem Weggang aus den Ospedali an anderen Zentren ganz Europas tätig werden sollten.

Niccolò Jommelli, der 1745/46 am Ospedale degl'Incurabili angestellt war, folgt einem Ruf nach Rom an Sankt Peter, um daraufhin 1753 an den Württembergischen Hof Herzogs Karl Eugen zu wechseln. Noch in seinen letzten Lebensjahren vertonte er Psalmen für den portugiesischen Hof in Lissabon.

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung: Niccolò Jommelli (Museo del Conservatorio San Pietro a Majella di Napoli)

 

Eine Präsenz italienischer Komponisten zeigt auch der russische Hof Katharinas der Großen in Sankt Petersburg. 1765 wird Baldassare Galuppi eingeladen, später folgen ihm Tommaso Traetta und Domenico Cimarosa. Andrea Bernasconi wiederum, der von 1744 bis 1753 am Ospedale della Pietà wirkte, wurde am Münchner Hof des Kurfürsten Maximilian III angestellt, dessen Musikaktivitäten er rund 30 Jahre lang prägte. Antonio Sacchini machte Karriere als Opernkomponist am Hof Marie Antoinettes in Paris und viele andere italienische Komponisten, darunter Nicola Porpora, dominierten das Musikleben in London.

Einer der bekanntesten Vermittler des venezianischen Repertoires ist sicherlich Johann Adolph Hasse. Er wirkte am Ospedale degl'Incurbili und komponierte für das Institut auch während seiner circa 30jährigen Amtszeit als Hofkapellmeister in Dresden geistliche Werke. Zahlreiche Autographe und Kopien finden sich heute in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, die die italienischen Einflüsse auf die Musizierpraxis in Dresden widerspiegeln.

Dort befindet sich auch die revidierte Fassung eines Laudate pueri für die katholische Hofkapelle, das er ursprünglich für die Musikerinnen der Incurabili komponiert hatte.

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung: Ehepaar Faustina geb. Bordoni unnd Johann Adolph Hasse, nach den Miniaturen von Felicitas Hoffmann geb. Sartori (Dresden, Gemäldegalerie)

Höreindruck: Johann Adolph Hasse, Laudate pueri, um 1735, für die Incurabili.

 

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Hörbeispiele

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Literatur

ARNOLD, DENIS: „Galuppi's Religious Music“, in: The Musical Times, Vol. 126, No. 1703 (Jan. 1985), S. 45-47+49-50.

DERGAL RAUTENBERG, ALAN und WERTENSON, BIRGIT JOHANNA: „The Psalm-Settings of the ‚Venetian Ospedali‘. Considerations about an extraordinary repertoire“, in: Studi musicali, Publ. in Vorbereitung.

HOCHSTEIN, WOLFGANG: Die Kirchenmusik von Niccolò Jommelli (1714-1774) unter besonderer Berücksichtigung der liturgisch gebundenen Kompositionen und Thematisch-systematischer Katalog (= StMw 1), 2 Bde., Hildesheim; Zürich; New York 1984.

HOCHSTEIN, WOLFGANG: „Hasses Beiträge zur Hofkirchenmusik in Dresden“, in: Hasse-Studien, 1998, S. 35-49.

HUCKE, HELMUT: „Vivaldi und die vokale Kirchenmusik des Settecento“, in: Antonio Vivaldi – teatro musicale, cultura e società (= Studi di musica veneta. Quaderni vivaldiani 2), hrsg. von Lorenzo Bianconi und Giovanni Morelli, Firenze 1982, S. 191-206.

KÖSTER, CHRISTINA: Johann Rosenmüllers lateinische Psalmvertonungen in starker Besetzung: Untersuchungen zu Klang und Struktur, Würzburg 2000.

OVER, BERTHOLD: „Ein Neapolitaner in Venedig: Nicola Porpora und die venezianischen Ospedali“, in: Die italienische Kirchenmusik zur Zeit Händels (= Händel-Jahrbuch XLVI), 2000, S. 205-230.

SCARPA, JOLANDO: Una Dinastia di Napoletani all'Ospedaletto da Traetta a Cimarosa (1767-1782), in: Musik an den venezianischen Ospedali/Konservatorien vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Symposion vom 4. bis 7. April 2001 (= Ricerche. Centro Tedesco di Studi Veneziani 1), Rom 2004, hrsg. v. Helen Geyer und Wolfgang Osthoff, S. 295-312.

TALBOT, MICHAEL: The Sacred Vocal Music of Antonio Vivaldi, Florenz 1995.

CD: Le Grazie Veneziane. Musica degli Ospedali. Music from the Ospedali, Ensembles: Vocal Concert Dresden und Dresdner Instrumental-Concert, Leitung: Peter Koop, Label: Carus 2008.

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